Amoklauf an deutschen Schulen: Welchen Einfluss haben die Medien?


©Public – Bastian B. in einer Selbstdarstellung vor dem Amoklauf von Emsdetten

Die Öffentlichkeit wird heutzutage wie das gehetzte Kaninchen ständig mit neuen Horrormeldungen auf Trapp gehalten: Finanzkrise, Terror, Krieg, Flugzeugabstürze, Kindervergewaltiger, Amokläufer an deutschen Schulen…Haben Sie sich je gefragt, ob ihr Nachbar vielleicht ein Kindervergewaltiger ist, ob Ihnen ein Flugzeug auf den Kopf fallen könnte oder ob an der Schule Ihrer Kinder vielleicht morgen einer Amok läuft? Haben Sie sich je gefragt, ob Sie sich eine 45er an den Kopf halten und abdrücken sollten, weil Sie seit gestern einer von Millionen sind, die in der Finanzkrise ihren Job verloren haben? Solche Auswüchse in Ihrem Hirn tun nichts anderes, als das wiederzuspiegeln, was von morgens bis abends Millionen Zuschauer vor dem Fernseher berieselt oder in großen Lettern auf den Titelseiten der Zeitschriften gedruckt steht.

Es ist nichts anderes, als die Schlagzeilen von Terror und Gewalt auf den Titelblättern, nach denen sich Millionen Zeitungsleser täglich die Hälse verrenken. Die Gier des Menschen nach Gewalt und Terror scheint auch noch nach täglicher Dauerberieselung durch Zeitungen und Fernsehen unstillbar. Nachrichten sind oft gruseliger als Videospiele!

Schon seit Jahrzehnten streiten sich die Gelehrten darüber, ob die Medien lediglich passives Spiegelbild der Gesellschaft sind oder ob die Gesellschaft aktiv von den Medien mitgestaltet wird (Medienwirkung).  Im letzteren Fall wären die Auswirkungen mehr als fatal, denn ein signifikant hoher Anteil der täglichen Schlagzeilen und Nachrichten besteht ausschließlich aus Terror, Gewalt und negativen Nachrichten.

Nachahmer und die „self-fulfilling prophecy“

©Public - Bastian B. in einer Selbstdarstellung vor dem Amoklauf von Emsdetten im November 2006

„Ich prognostiziere, dass es jetzt auch Nachahmer geben wird.“, diagnostizierte  die Psychologin Prof. Isabella Heuser bei einer Talk-Runde auf PHOENIX nach dem Amoklauf eines 17-jährigen in Winnenden. Diese suggestive Aussage wurde mittlerweile millionenfach in Zeitungen und Fernsehnachrichten nachgeplappert und konnte ihre verheerende Wirkung voll entfalten. In der kleinen  Runde ausgesprochen, ist die Wirkung einer solchen Aussage eher bescheiden anzusehen, aber millionenfach in Fernsehen und Zeitungen wiederholt, wird diese Suggestivaussage fast zur provokanten Aufforderung – zur „self-fullfilling prophecy“.

Auf Wikipedia lesen wir eine kurze Beschreibung der sich „selbsterfüllenden Prophezeiung„: „Die selbsterfüllende Prophezeiung ist eine Vorhersage, die sich erfüllt, nur weil sie von einem sozialen Akteur geäußert und von anderen aufgenommen worden ist. Sie ist also eine besondere Ursache der Folgen, von denen sie spricht. Eine typische Anwendungsform ist zum Beispiel das als Vorhersage getarnte gezielte Gerücht.“ Wenn man diese Zusammenhänge einmal nüchtern betrachtet, muss man die Frage polemisch in den Raum stellen, ob eine Nachrichtensperre bei bestimmten Themen vielleicht mehr Wirkung erzielen würde, als ein Verbot von Gewaltspielen. Ein gewagtes Sozialexperiment!

Die gesellschaftliche Diskussion: Gefängnisse als Schulen

Die gesellschaftliche Diskussion wird wie immer von vielen Emotionen begleitet und bewegt sich weit weg von jeder sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Fernsehkameras zoomen nah an die Gesichter der Betroffenen heran und vermitteln dem Zuschauer das Gefühl, was es heißt, selbst Betroffener und live beim Geschehen dabei gewesen zu sein. Rita P. hat ihren Sohn  verloren und Michael H. musste mit ansehen, wie seinem Klassenkameraden Gustav L., das rechte Bein zerschossen wurde. Michael H. weiß außerdem noch zu berichten, dass der Täter vorher jahrelang „Counter Strike“ gespielt und sich bei Schießübungen mit nachgebauten Waffen im Wald gerne gefilmt hat.

Politiker fordern: Verbot von Gewaltspielen, Verbot von Waffen, Anti-Terror-Kommandos an Schulen, Überwachung von Schulen, Überwachung von Chaträumen, Überwachung von Tagebüchern, Überwachung von Schützenvereinen, Überwachung von YouTube-Accounts, Überwachung von Gedanken und eine umfassende Gefahrenanalyse der Gesellschaft plus Frühwarnerkennungssystem. Würde die Politik auf die Idee kommen, Pornofilme zu verbieten, nur weil sich ein Vergewaltiger vor der Tat einen Pornofilm angeschaut hat? Im besten Fall müssen wir uns davor hüten, eine gefährliche Subkultur des Amoks bei uns zu kultivieren, denn dann ist das Sozialexperiment „Amokläufer an Schulen“ aufgegangen. Wir sind drauf und dran den Nährboden für einen Amok-Kult in unserem Land vorzubereiten.

Bilder von Kerzen, schockierten und weinenden Menschen, Beerdigungen und Transparenten mit der immer gleich lautenden Frage: „Warum?“.
Wir werden die Frage wohl nie beantworten können, aber es ist gut, dass wir mal wieder darüber gesprochen haben.

Was können Sie tun? Machen Sie den Fernseher aus, vergessen Sie die Sache und spielen Sie Ihre Lieblings-CD ab, das ist momentan vielleicht das Beste, was Sie tun können.

(gk)

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8 Responses to Amoklauf an deutschen Schulen: Welchen Einfluss haben die Medien?

  1. Manfred Schuster sagt:

    Kompliment! Einer der besten Beiträge, die ich bisher zu dem Thema gelesen habe. Selbst der Psychologe und Jugendforscher, Prof. Klaus Hurrelmann, fordert den gesellschaftlichen Diskurs über eine „Nachrichtensperre“.
    Die Medien unterschätzen ihre Rolle!

  2. Xpand Social People Network sagt:

    Guter Artikel! Gruß von einem Mitglied der Jungen Presse Niedersachsens

  3. Der Anwalt sagt:

    Servus
    Könnt ihr bitte mal sagen was mein Amoklauf Video mit Nachahmung zu tun hat?? Ich zerschlag eine Gitarre in dem Video. Weder hab ich irgendwelche Messer oder Waffen und vorallem bring ich keinen um. Was soll das BITTE?? Das Video ist von 2003 weit vor den ganzen Amokläufen in Deutschland. Das Video hat woll nichts mit dem Aktuellen Amoklauf zu tun. Frechheit sowas. Der Junge ist ausgetickt weil er gemobbt wurde und nicht wegen irgendwelchen Spielen. Gruß Anwalt

    Antwort:
    Hallo, das Video ist gut gemacht. Dass es Satire ist, sieht jeder, der sich das Video anguckt. Es geht also bei dem Video nicht um die Verurteilung des Videos, sondern um die Satire! Das Video spricht ja für sich selber.
    Das Video veranschaulicht sehr gut, was gemeint ist, ohne dabei den satirischen Charakter zu verlieren.
    Besser geht’s ansich nicht: Es war/ist also ideal zur Veranschaulichung geeignet.
    Außerdem hat es einen eindeutigen Bezug zu „Amokläufen nach Computerspielen“. Obwohl wir natürlich alle ahnen, dass es nicht an den Computerspielen liegt, das geht auch aus unserem Beitrag hervor.
    Es ist für die Politik leichter Computerspiele zu verbieten, als eine Gesellschaft zu ändern, unter der Jugendliche offenbar immer mehr leiden.

  4. „Nachahmer und die “self-fulfilling prophecy”“ bezieht sich auf den Text, der darunter anfängt

  5. Der Anwalt sagt:

    Ich war verwundert weil Nachahmer drunter stand. Meine Meinung dazu ich finde nicht das die Computerspiele meist dran schuld sind. Sondern unsere heutige Gesellschaft. Rauchst du nicht bist du Uncool. Hast du keine Geile Klamotten an biste Uncool. Und diese Menschen die sich darauf nicht einlassen werden als aussenseiter gemobbt. Wobei man erwähnen muss das der vom Aktuellen Amoklauf in P. Behandlung war. Ich finde es halt nur etwas lächerlich das immer direkt die schuld auf z.b Counterstrike geschoben wird. Was man beim Aktuellen Amoklauf wieder gesehen hat. Bei den diversen Fernsehsender z.b man zeigt Freunde und im hintergrund der PC mit dem Spiel Counterstrike. Was bitte soll so was? Genau so wie gesagt wurde der ist im Kampfanzug rumgelaufen?? Lool?? Stimmt doch gar nicht. Die Tatsachen werden einfach verdreht das ist das Problem. Die Leute brauchen sich doch nicht zu wundern das solche Leute dann austicken wenn sie als aussenseiter gehandelt werden. Wo bei ich nicht sage das man da gleich Amoklaufen muss und Menschen umbringt. Ich meine damit nur vielleicht sollten sich die Menschen erst mal an die eigene Nase greifen und nicht die Schuld von sich abzustoßen und das ganze auf die Spiele zu schieben. Ich spiele auch solche Spiele aber ich bring doch deswegen niemanden um. Gruß Jan

  6. Denkmalnach sagt:

    Guter Beitrag!
    Ich finde die Sichtweise des Autoren gut! Die Medien schlachten hier ohnehin nur eine Sache aus, die ihnen top Quoten bringt, also spielt hier klar der wirtschaftliche Faktor rein, das hat nix mit nüchterner und professioneller Berichterstattung zu tun. Meinungsmache passt in vielen Fällen besser zu unseren Konzernmedien.Ich rege mich oft darüber auf, dass Berichte nicht neutral sind, sondern sofort die Meinungsmache-Maschinerie angeworfen wird. Ich denke auch, dass die Medien sehr wohl einen sehr großen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben.
    Hut ab vor so einer Analyse!

  7. […] schlachtete ein 27-jähriger seine Exfreundin und ihre Freundin mit Stichwaffen ab. Die oft reißerische Berichterstattung der Medien, die Verbreitung über neue digitale Informationsträger ( zB die Videoplattform YouTube) – […]

  8. Die Frage nach dem „Warum“ ist eine Scheinfrage. Natürlich gibt es Gründe für solche extremen Taten. Aber wäre die Antwort auf die Frage „Warum“ wohl sehr unbequem für unsere Gesellschaft.

    Das wollte ich noch anmerken, weil ich gerade zu diesem Thema recherchiere und mir das aufgefallen war.

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