Gerd Heidemann: „Michael Seufert hat in seinem Buch die Wahrheit verdreht“ – Interview (1/2)

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„Gestern noch auf hohen Rossen, heute durch die Brust geschossen!“



©Foto:GHS-Archiv – Gerd Heidemann in seinem Dokumenten-Archiv mit dem Buch von Michael Seufert

Gerd Heidemann, der altgediente Kriegs- und Starreporter in seinem Archiv. Hier lagern unzählige Dokumente der Zeitgeschichte. Zweifelhafte Berühmtheit erlangte er durch die größte Pressekatastrophe im Nachkriegsdeutschland: Die gefälschten Hitlertagebücher. Michael Seufert, damals in den 80ern stellvertretender Chefredakteur beim „Stern“, geht mit Heidemann in seinem 2008 erschienenen Buch „Der Skandal um die Hitler-Tagebücher“ schwer ins Gericht und schiebt ihm den Schwarzen Peter zu. Heidemann, so Seufert, trägt die Hauptschuld am Tagebuch-Desaster und hat Millionen unterschlagen. „Das ist alles Quatsch“, so Gerd Heidemann. In einem ausführlichen Interview mit jungeMedien Hamburg, versucht Heidemann akribisch, die Ungereimtheiten in Seuferts Buch aufzudecken und zu belegen, dass die Geschichte damals anders gelaufen ist, als Seufert es in seinem Buch dem Leser glaubhaft machen will. Zahlreiche Dokumente scheinen Heidemanns Version zu bestätigen, doch die interessieren heute niemanden mehr. Nur deswegen konnte Michael Seufert in seinem Buch auf große Quellenangaben verzichten.

Gerd Heidemann in seinem Archiv. Die Ungereimtheiten in Seuferts Buch hat er in einer Akte zusammengefasst. Die Akte trägt die Aufschrift "Seuferts Lügen".

Herr Heidemann, wieso ist Ihr Fall in 25 Jahren eigentlich nie wieder neu aufgerollt worden? 1990 erschien „Der Fund“ von Peter-Ferdinand Koch, und 1998 wollten Sie mit den Irrtümern aufräumen und kündigten eine eigene Buchveröffentlichung „Millionen für den Führer an“, aus der dann nie was geworden ist.

Gerd Heidemann: Mein Anwalt war sehr enttäuscht, dass der Bundesgerichtshof seinen Revisionsantrag, in dem er 18 Verfahrensfehler nachgewiesen hatte, ohne Begründung verworfen hatte. Einer der Richter soll ihm später gesagt haben, man wolle Hamburg nicht noch einmal so einen großen Prozess zumuten. Darüber war er so empört, dass er mir zusagte, das Wiederaufnahmeverfahren umsonst durchzuführen. Er müsse nur erst Monika Weimar freibekommen. Und dieses Verfahren zog sich über Jahre hin. Monika Weimar wurde verurteilt, freigesprochen, wieder verurteilt usw. So etwas wollte ich in meinem Alter nicht mehr mit mir machen lassen. Es heißt ja auch, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Richter einen Irrtum zugibt und eine Wiederaufnahme zulässt. Man sagt, vor Gericht sei man in Gottes Hand. Ich halte es nach meinen Erfahrungen eher für ein Lotteriespiel.

Ich hatte außerdem immer gehofft, dass der „Stern“ mit seinem riesen Recherchenapparat die verschwundenen Millionen irgendwann finden würde, denn die Polizei hatte die Suche danach  längst aufgegeben. Aber da dort ein Mann die Recherchen  leitete, der nur versuchte, mich  zu belasten und darum  außer heißer Luft und Fälschungen nichts zustande brachte, wurde meine Hoffnung enttäuscht. Man suchte nur bei mir nach Millionen, obwohl das Gericht glaubte, dass der Fälscher Konrad Kujau auch 4,6 Millionen eingesackt hatte. Und bei mir konnte man nichts finden, weil das Gerichtsurteil eben falsch war und ich nirgendwo Geld gebunkert hatte. Darum schob ich die Idee, ein Buch über die Affäre zu schreiben, immer wieder auf, zumal ja ein sehr gutes und penibel recherchiertes Buch von dem bekannten Autor und ehemaligen SPIEGEL-Redakteur Peter Ferdinand Koch  inzwischen herausgegeben worden war, das leider keine große Auflage erreicht hatte.

Es wird immer wieder von den verschwundenen „Stern“-Millionen geredet, als wenn die irgendwo herumliegen und auf ihren Finder warten würden. Wie realistisch ist das? Die müssten doch in den 26 Jahren sowieso schon längst verpulvert worden sein.

Gerd Heidemann: Da müssten Sie eigentlich sich und die anderen Journalisten fragen, die immer wieder davon reden und schreiben. Nach so vielen Jahren nach dem Geld zu forschen, ist natürlich schwierig. Die einzige Chance besteht meines Erachtens darin, ein Bankkonto von ihm zu finden. Wenn die Bank nicht nach 10 Jahren alle Unterlagen vernichtet hat, könnte man vielleicht nachvollziehen, wann er welche Ein- und Auszahlungen getätigt hat. Der „Stern“ hätte gleich nach Entlarvung der gefälschten Tagebücher nicht nur bei mir, sondern auch bei dem Fälscher und Empfänger der Millionen danach forschen müssen. Aber Michael Seufert, der sich beim „Stern“ als „Chefermittler“ sah, hatte sich nur auf mich eingeschossen und offensichtlich keinen Mitarbeiter beauftragt, auch bei dem Fälscher Konrad Kujau zu recherchieren.

Ob Kujau nun so viele Millionen bis zu seinem Tode verpulvern konnte, weiß ich natürlich nicht. Er hatte ja nicht nur von mir ca. 10 Millionen Mark bekommen, sondern auch noch von anderen Käufern seiner „Werke“ ca. 2 bis 3 Millionen Mark kassiert. Als ich Konrad Kujau kennen lernte, vertraute ich ihm, da ich nicht wusste, dass er ein Betrüger und Fälscher war. Als man dieses aber wusste, vertraute man beim „Stern“  trotzdem dessen falschen Aussagen, vermittelte ihm sogar eine Vernissage in einer Hamburger Kunstgalerie und ließ ihn ansonsten völlig unbehelligt. Das ist eben der große Fehler, der gemacht wurde.

Michael Seufert veröffentlichte letztes Jahr sein Buch „Der Skandal um die Hitler Tagebücher“. Sie sitzen zuhause auf Tausenden von Dokumenten, die Ihre Aussagen größtenteils untermauern. Wenn Seufert falsche Behauptungen gegen Sie aufstellt, warum sind Sie dann nicht dagegen vorgegangen? Sie hätten ja beispielsweise auch mit einem eigenen Buch antworten können.

Gerd Heidemann: Ich habe nach Erscheinen des Seufert-Buches in einigen Interviews versucht, seine Lügen zu widerlegen, doch druckten die betreffenden Blätter meine Antworten nicht ab, denn Lügen haben bekanntlich einen höheren Unterhaltungswert.  Und nur wegen dieses Pamphlets hatte ich keine Lust, nun auch noch wieder ein Buch zu schreiben. Da Sie aber ein Interview mit Michael Seufert veröffentlichten, können Sie mir zu seinen Vorwürfen entsprechende Fragen stellen, die ich gern beantworten werde.

Einer seiner massivsten Vorwürfe ist, dass von Ihnen und Dr. Thomas Walde damals alle Hinweise ignoriert worden sind, die darauf hinwiesen, dass die Tagebücher möglicherweise gefälscht sind. Jeder Zweifel an der Echtheit der Tagebücher wurde angeblich penibel ausgeblendet. Seuferts vermutetes Motiv: Die Geldgeilheit hat blind gemacht. Man hat nur die Sachen gesehen, die man sehen wollte…Was sagen Sie dazu?

Gerd Heidemann: Diesen Vorwurf kann man machen, wenn man selber seriös arbeitet. Aber Michael Seufert bringt es sogar fertig, Fälschungen noch einmal so umzufälschen, damit er sich darüber mokieren kann, wie leichtsinnig Dr. Thomas Walde und ich auf diese Fälschungen hereingefallen seien. Als Beispiel führt Seufert die sogenannte Kleist-Urkunde an, auf der Hitler Ewald von Kleist zum Generalfeldmarschall ernennt. Er zitiert den gedruckten und handgeschriebenen Text dieser Urkunde und behauptet, sie trage das Datum 1. Juli 1943, um dann belehrend darauf hinzuweisen, dieses Dokument hätte Walde und mich besonders skeptisch machen müssen, denn Hitler  hätte Kleist mit Wirkung vom 1. Februar zum Generalfeldmarschall gemacht und es sei kaum denkbar, dass es fünf Monate dauert, bis von Kleist seine Beförderungsurkunde bekommen hätte.

Tatsächlich ist aber die Urkunde in Hitler-Handschrift mit „Berlin, den 1. Febr. 1943“ unterschrieben. Diese Urkunde hatte ich, wie auch die folgenden Fotos und Schriftstücke, privat von Kujau erworben und habe sie sofort meinem Ressortleiter Dr. Walde ausgehändigt, damit dieser die Schriftstücke dem Bundesarchiv und dem Bundeskriminalamt zur Prüfung auf Echtheit übergeben konnte.  Dr. Walde beauftragte mit der Überbringung der Papiere seinen Mitarbeiter Leo Pesch, der den Auftrag am 5. Juli 1982 durchführte. Während des Prozesses um die gefälschte Tagebücher amüsierte sich Kujau darüber, dass das BKA nicht einmal erkannt hatte, dass er den Hoheitsadler auf der Urkunde mit Bronzefarben selbst gemalt hatte. Michael Seufert schreibt in seinem Buch von  „auf der Rückseite beschrifteten Fotos“, die unstrittig echt sein sollen, aber natürlich aus Kujaus Werkstatt stammten. Nun sind diese Fotos zwar in Wahrheit nicht auf der Rückseite, sondern auf der Vorderseite beschriftet, aber so genau nimmt es  Seufert mit seiner Beschreibung nicht, wenn er versucht, Dr. Walde und mich zu belasten. Eines dieser Fotos zeigte Hitler im Kreis seiner Paladine, darunter in seiner Handschrift : „Ein moderner Feldherr kann nur so gut sein, so gut wie die Männer seines engeren Stabes sind!“
Unter  Hitlers Unterschrift befanden sich die Unterschriften von Hermann Göring, Karl Wolff, Julius Schaub, Heinrich Hoffmann, Martin Bormann und Hans Baur. Die Reproduktion dieses Fotos schenkte ich 1982 dem ehemaligen SS-General Wolff zum Geburtstag. Er erkannte nicht, dass seine Unterschrift gefälscht war und bedankte sich überschwänglich bei mir. Wie sollte ich das Blatt als Fälschung entlarven, wenn nicht  einmal Wolff seine Unterschrift als Fälschung erkannte?

Nun kommt aber Seuferts Meisterleistung im Verdrehen und Verfälschen. Auf Seite 156 schreibt Seufert in seinem Buch von einem Bild, auf dem Hitler mit mehreren Personen vor dem Eiffelturm in Paris zu sehen ist und auf der Rückseite sieben Zeilen Hitler-Schrift „Besuch in Paris…“ und seine Unterschrift mit dem Datum 7.Juli 1940 zu lesen sei. „Dieses Foto mit „Hitlers“ Notiz auf der Rückseite“, behauptet Seufert, „ist eine besondere Kuriosität. Es spricht dafür, wie sorglos Kujau für seinen Duzfreund Heidemann Dokumente produziert, und dafür, wie leichtfertig und kritiklos Walde und Heidemann mit dem Material umgehen.“ Es sei allgemein bekannt, fährt Seufert fort, dass Hitler am 23. Juni Paris besuchte, nachdem Frankreich am Vortag den Waffenstillstandsvertrag unterschrieben hatte. Dass er am 7. Juli 1940 noch einmal in Paris gewesen sei, ist nicht bekannt. Es wäre für Walde und Heidemann ein Leichtes gewesen, das Datum auf der Postkarte zu überprüfen. Im Nachschlagewerk von Max Domarus, das von beiden so gern zur Überprüfung von Tagebucheinträgen genutzt wird, hätten sie lesen können, dass der „Führer“ am 6. Juli aus Frankreich nach Berlin zurückgekehrt sei. Nun handelt es sich bei dem Foto um einen Abzug in der Größe von 18 x 24 cm,  es ist also keine Postkarte, und der handschriftliche Text in Hitlers Handschrift befindet sich nicht auf der Rückseite, sondern auf der Vorderseite, er ist also direkt auf das Foto geschrieben.

Der Text lautet:

„Besuch in Paris am 28. Juni 1940
Ich danke dem Herrgott, dass diese
Schöne Stadt vorm Untergang durch
Den Kampf verschont blieb.
Durch die Vernunft der Franzosen
Und unser schnelles Handeln
Wurde diese Stadt gerettet.

Hauptquartier, den 7. Juli 1940
Adolf Hitler“

Michael Seufert verschweigt also das Datum in der ersten Zeile, setzt dafür drei Punkte ein und beruft sich nur auf das untere Datum. Natürlich habe wir damals sofort im Nachschlagewerk des Max Domarus nachgesehen, und was konnten wir dort lesen: „Am 28. Juni besuchte Hitler Paris.“
Und in den Erinnerungen von Albert Speer, der Hitler nach Paris begleitet hatte, stand zu lesen: „In der Nacht des 25. Juni 1940, um 1.35 Uhr sollte die Waffenruhe in Kraft treten. … Drei Tage nach Eintritt der Waffenruhe landeten wir frühmorgens, etwa  um fünf Uhr dreißig, auf dem Flughafen Le Bourget…“
Hitler besuchte tatsächlich am 23. Juni 1940 Paris, aber fast alle Beteiligten haben in ihren Erinnerungen ein falsches Datum angegeben. Erst in einer französischen Veröffentlichung fand ich nach der Tagebuch-Pleite dieses Datum.  Da alle diese „Dokumente“ von uns dem Bundesarchiv zur Prüfung vorgelegt wurden, hätte man dort sicher Alarm geschlagen, wenn man solche gravierenden Fehler festgestellt hätte, wie sie Seufert nun Dr. Walde und mir unterstellt. Eigentlich war es auch gar nicht meine Aufgabe, diese Dinge alle zu überprüfen. In dem Gruner + Jahr-Verlagsblatt „Zeitschriften intern“ vom 27. April 1983 heißt es dazu:

„Was der ‚Stern’-Reporter Gerd Heidemann auf der Suche nach den Hitler-Tagebüchern zusammentrug, fügten die ‚Stern’-Redakteure Dr. Thomas Walde und Leo Pesch – einem Puzzle gleich – zu der Fundgeschichte zusammen. Angaben von Zeugen, die Heidemann fand, überprüften sie minutiös auf ihren Wahrheitsgehalt. …
Die beiden ‚Stern’-Redakteure durchforsteten zeitgeschichtliche Archive, holten die Gutachten über die Authentizität von Hitlers Tagebüchern ein, koordinierten die Einsätze weiterer ‚Stern’-Mitarbeiter und bereiteten die ‚Stern’-Serie über die Aufzeichnungen Hitlers vor.“

Und für die Überprüfung der Tagebücher auf historische Richtigkeit hatte Dr. Thomas Walde einen Historiker beauftragt, dessen Namen er aber nach der Pleite auch dem Gericht gegenüber verschwieg, um dessen Karriere nicht zu beschädigen.  Darum kann die Presse mir bis heute vorwerfen, ich hätte bestimmte Fehler in den Tagebüchern nicht erkannt.

In dem ersten Gespräch mit der Verlagsleitung hatte mir unser Verlagschef Dr. Manfred Fischer gesagt: „Herr Heidemann, Sie beschaffen also die Tagebücher, recherchieren die Geschichte dieses Hitler-Flugzeugs und besorgen sich die Urheberrechte an Hitlers Aufzeichnungen. Das wird schwierig genug sein. Damit sind Sie ausgebucht.  Um die Schriftgutachten werden sich Dr. Thomas Walde und Wilfried Sorge, unser stellvertretender Verlagsdirektor, kümmern.“ Wenn uns Seufert vorwirft, die Geldgeilheit hätte uns blind gemacht, so kann ich nur darauf verweisen, dass mir ein holländischen Multimillionär noch vor dem Gespräch mit der Verlagsleitung 5 Millionen Mark für die Bücher geboten hatte, als ich noch hoffte, sie für 2 Millionen erwerben zu können. Dieser Mann wollte die Bücher sogar dem ‚Stern’ für den Erstdruck kostenlos zur Verfügung stellen, um sie dann anschließend über einen großen amerikanischen Verlag zu vermarkten.  Dieser Mann wollte auch das Risiko tragen, falls irgendetwas schief gehen würde. Als ich dieses unserem Verlagschef  mitteilte, winkte er ab und sagte:
„Lassen Sie diesen Holländer aus dem Spiel. Das Risiko übernehmen wir. Der ‚Stern’ interessiert mich nicht, ich möchte ‚Stern’-Bücher daraus machen und die Tagebücher weltweit vermarkten. Aber wenn der ‚Stern’ die Tagebücher später veröffentlichen will, kann er sie ja bekommen.“

Michael Seuferts Antwort auf die Kleist-Urkunde lautet: „Kujaus „Original-Urkunde“ lag mir nicht vor. Ich zitiere hier aus dem Urteil, dort steht auf Seite 158 als Datum der Kleist-Urkunde „Berlin, den 1. Juli 1943.“

Gerd Heidemann: Das Gericht und der Staatsanwalt haben eben leider genauso schlampig wie Seufert gearbeitet. Ich könnte da Dutzende von Beispielen anführen. Eigentlich hätte der Staatsanwalt gegen Seufert wegen Verdacht des Meineides ermitteln müssen, da Seufert unter Eid Günter Bartels als Fälscher der Paraguay-Dokumente bezeichnet hat, während er bei Ihnen im Interview aussagt, dass Bartels die Dokumente als Fälschung entlarvt hat.

Was glauben Sie eigentlich, wo die gefälschten und kuriosen Paraguay-Dokumente herkamen, die Sie vor Gericht belasten sollten? Michael Seufert behauptet jedenfalls, dass Hübner die Dokumente nicht gefälscht hat…

Gerd Heidemann: Michael Seufert hatte von der Polizei den Hinweis bekommen, dass ich eventuell Kontakt zu der Firma „Productos  Paraguayos S.A.I.C.“ in Paraguay hätte. Da diese Firma sich mit dem Verkauf von Grundstücken beschäftigte, wollte Seufert durch seinen Mitarbeiter Hans-Werner Hübner überprüfen lassen, ob ich dort Geld investiert oder mich an der Firma beteiligt hätte. Bei meiner Südamerika-Reise, die ich von Juni bis August 1979 Unternommen hatte, um geflüchtete SS-Führer aufzuspüren, hatte ich festgestellt, dass sich viele vermögende Deutsche Land in Paraguay kauften. Darüber wolle ich eine Reportage im ‚Stern’ veröffentlichen und ließ mir deshalb von oben genannter Firma einen Prospekt mit allen Angaben über Preise für Landerwerbung und Rendite bei Viehzucht zuschicken. Da uns der ‚Spiegel’ mit einem ähnlichen Thema leider zuvorkam, sahen wir von einer Veröffentlichung ab. Als ich mein Büro nach der Tagebuch-Pleite aufräumte, fiel mir dieser Prospekt in die Hände. Ich zerriss ihn und warf  die Papierschnipsel in den Müllsack. Als einige Tage später die Kripo bei mir Hausdurchsuchung machte, nahm sie auch den gefüllten Müllsack mit, klebte die Schnipsel wieder zusammen und gab Seufert den Hinweis auf die Firma.

Während ich schon in Untersuchungshaft saß, beschaffte sich der ‚Stern’-Rechercheur Hans-Werner Hübner  in Asuncion Handelsregisterauszüge dieser Firma, die sich aber sehr schnell als sehr dilettantische Fälschungen herausstellten. In eine Leerzeile, die mit Bindestrichen versehen worden war, hatte man versucht, diese auszuradieren. Das war nicht ganz gelungen, denn einige schimmerten immer noch deutlich durch. Mit einer anderen Schreibmaschinentype, die auch noch um Millimeter verrutscht war,  hatte man in diese angebliche Leerzeile geschrieben: integrando Gerd Heidemann Gs. 30.000.000.–  (übersetzt: Gerd Heidemann brachte Guaranis 30.000.000.—ein.)

Bis auf diese Eintragung war der Handelsregisterauszug echt. Dafür war das nächste Dokument eine Totalfälschung. Sogar die Unterschrift der Richterin Aurora L. de Martinez war gefälscht, wie diese später schriftlich bestätigte. Dieses ‚Dokument’ bewies nun, dass in der Versammlung am 26. November 1980 die Statuten der Firma geändert wurden und ich 30 Millionen Guaranis, also etwa 500. 000,– DM, in diese Firma eingebracht haben sollte. Seuferts Beauftragter Hübner hatte diese Dokumente nun nicht etwa in Paraguay, sondern in Argentinien durch viele schöne Stempel beglaubigen lassen.  Nun wäre es für den Chefermittler Seufert ein Leichtes gewesen, diese Papiere sofort als Fälschung zu entlarven. Aber er wollte mich ja unter allen Umständen belasten, deshalb schaltete er seinen Verstand auf Sparflamme, ignorierte einfach alles, was für eine Fälschung sprach und recherchierte nicht einmal bei seinen Kollegen in der Redaktion. Erstens war ich zu dieser Zeit gerade mit dem Ressortleiter Dr. Thomas Walde von den ersten Recherchen zur Tagebuch-Geschichte aus der DDR zurückgekommen, hatte mich zusammen mit ihm mit zwei  Hamburger  Verfassungsschutzbeamten  getroffen, um über unsere Erlebnisse mit den Stasi-Offizieren zu berichten; zweitens war ich auch nachweislich noch am 26. November 1980 in der Redaktion; drittens hatte ich zu dieser Zeit überhaupt noch kein Geld für die Tagebuch-Beschaffung von der Verlagsleitung bekommen, hatte auch noch keine Ahnung, dass ich im Januar 1981 Gespräche über die Tagebücher mit dem Verlagschef führen würde und viertens sah man wirklich auf den ersten Blick, dass es ganz primitive Fälschungen waren, die Hübner da anschleppte.

Ohne erst einmal abzuklären, ob ich zu dieser Zeit schon Geld vom Verlag bekommen hätte und vielleicht nach Paraguay gereist sein könnte,  bestellte Seufert den Kriminalbeamten Bähr in die Redaktion und sorgte nun dafür, dass mit seiner falschen Aussage die Ermittlungsakten gefälscht wurden! Der Kriminalbeamte Bähr schrieb in die Ermittlungsakten:

„FD 724                                           Hamburg, den 15. Mai 1984      /ba

V e r m e r k  :

Von Herrn Seufert wurden mir im Gebäude des STERN zwei Dokumente mit den Serien-Nummern 178924 und 168012 aus Paraguay im Original übergeben. Bei diesen Dokumenten soll es sich um Auszüge aus dem Handelsregister in Paraguay handeln.
Herr Seufert sagte zur Beschaffung der Dokumente folgendes:
Er habe in Paraguay Rechercheure damit beauftragt, Karteien und Register nach Eintragungen auf Namen von in diesem Strafverfahren beteiligten Personen abzufragen. Er habe den Leuten nicht mitgeteilt, bei welchen Firmen sie suchen sollten.
Die Rechercheure seien nun durch eigenes Nachforschen auf den Namen GERD HEIDEMANN im Handelsregister von Asuncion gestoßen. Herr Heidemann sei dieser Eintragung zufolge bei der Firma „Productos Paraguayos“ mit umgerechnet ca. DM 500.000,–als Teilhaber eingetragen.
Weiterhin hätten die Rechercheure festgestellt, dass Ronald HEIDEMANN auf keiner Passagierliste von Luftfahrtgesellschaften und auf keiner Einreiseliste in Paraguay und Brasilien verzeichnet sei. Dies wertete Herr Seufert als weiteres Indiz dafür, dass Ronald HEIDEMANN im Besitz eines Spezialpasses ist, der ihm einen diplomatischen Status verleiht.

-B ä h r -„

Nun wussten zwar fast alle meine Kollegen in der Redaktion, dass mein Sohn Flugbegleiter bei der Lufthansa war, und schon deshalb natürlich nicht auf einer Passagierliste auftauchen musste, doch das hielt Herrn Seufert nicht davon ab, ihm gleich in seiner kindlichen Fantasie einen Diplomatenpass zu verleihen. Wenn man schon lügt, muss man ein gutes Gedächtnis haben. Damit konnte aber Seufert dem Fälscher und Lustlügner Konrad Kujau noch keine Konkurrenz machen. Denn einige Jahre später äußerte sich Michael Seufert auf Befragen durch den Buchautor Peter Ferdinand Koch zu dieser Recherche in Südamerika schriftlich , dass man die Hinweise auf diese Firme durch die Polizei erhalten und er daraufhin Hans-Werner Hübner nach Paraguay geschickt hätte, um diese Firma zu überprüfen.  Seufert in seiner schriftlichen Antwort:

„Herr Hübner teilte mir mit, dass er in Asuncion Einheimische nicht beauftragt und auch keine Honorare bezahlt habe. Es wurde nur diese Firma überprüft. Etwaige Kujau-Beteilungen (wörtlich!) waren nicht Anlaß der Recherchen, weil es keinen Hinweis auf ein solches Engagement gab. Bei den Recherchen ergab sie (wörtlich!) auch kein Hinweis auf Kujau. Die Polizei muss auf die Firma PP gestoßen sein, da sie uns darauf ansprach. Den ersten Handelsregisterauszug, der sich als falsch herausstellte, besorgte Herr Hübner. Er erklärte mir dazu, dass er mit der Überprüfung des Handelsregisters einen argentinischen Anwalt beauftragt habe. Den zweiten Registerauszug besorgte der ihnen bekannte Herr Günter Bartels, der zusammen mit Dr. Riemann, Geschäftsführer der Deutsch-Paraguayischen Handelskammer, am 1.Oktober 1984 das Handelsregister der Firma PP einsah und feststellte, dass es keinen Eintrag über eine Beteiligung des Gerd Heidemann gibt. Die Unterschrift einer entsprechenden Bestätigung wurde von der Deutschen Botschaft in Asuncion beglaubigt.“

Auch hier bleibt Herr Seufert nicht ganz bei der Wahrheit, denn Hübner hatte zwei Handelsregisterauszüge besorgt und bei dem von Günter Bartels beschafften echten Papier handelte es sich also um den dritten Auszug aus dem Handelsregister. Nachdem die Papiere nun als Fälschung entlarvt worden waren, wäre es eigentlich Seuferts Pflicht gewesen, der Sache nachzugehen, um herauszubekommen, ob sein Reporter der Fälscher war. Denn angeblich hatte dieser doch keinen Einheimischen mit der Recherche beauftragt. Außerdem hatte Hübner sehr hohe Reisekosten abgerechnet. Wenn heute von Seufert behauptet wird, er kenne die Spesenabrechnung nicht, scheint das auch nicht zu stimmen. Ein Ressortleiter, der Mitarbeiter auf eine so lange Reise schickt, muss die Reisekosten vor der Chefredaktion vertreten. Dieses versicherte mir erst vor wenigen Tagen ein ehemaliger ‚Stern’-Redakteur. Und in diesem Fall munkelte man in der Redaktion sogar von Spesen in Höhe von ca. 200.000,– DM. Aber hier hielt sich der Ressortleiter Seufert, der sich doch so gern als Sherlock Holmes sah,  merkwürdiger Weise sehr zurück und ließ die Geschichte bis heute unaufgeklärt.

Als er aber als Zeuge während des Tagebuch-Prozesses von dem Vorsitzenden der Großen Strafkammer 11 gefragt wurde, wer denn der Fälscher der Handelsregisterauszüge gewesen sei, bezeichnete er einfach Günter Bartels als Fälscher und nahm diese Aussage auf seinen Eid. Günter Bartels aber war der Hamburger Kaufmann, der die Papiere im Auftrag Seuferts und der Rechtsabteilung des ‚Stern“ in Paraguay überprüft und als Fälschung entlarvt hatte. Nun hätte eigentlich der Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Meineides gegen Seufert einleiten müssen, denn ihm lagen ja die Ergebnisse der Recherchen des Herrn Bartels vor, doch wie bei einigen anderen Falschaussagen von Zeugen im Verlauf des Prozesses, hielt sich dieser sonst so scharfe Anwalt des Staates ebenfalls sehr merkwürdig zurück. So baten ihn meine Anwälte nach Seuferts Aussage, doch zu ermitteln, wer wirklich hinter dieser Fälschung stecken würde. Die Antwort des Staatsanwalts: „Wir müssen hier Steuergelder sparen!“

Wenn Seufert heute behauptet, diese Fälschung würde mich nicht entlasten, stimmt das natürlich. Im Gegenteil, da der Fälscher sich in der Jahreszahl geirrt hatte, hätten sie mich sogar entlastet. Denn wenn ich wirklich schuldig gewesen wäre und genauso wie Seufert gelogen hätte,  hätte ich die Papiere ja als echt anerkennen können, um damit zu beweisen, dass ich schon vor den ersten Zahlungen der Verlagsleitung ziemlich vermögend war. Aber das war ich nicht. Immerhin war ich aber so kreditwürdig, dass mir die Deutsche Bank über 300.000,– DM für die Renovierung meiner Motoryacht zur Verfügung stellte. Doch beweisen diese Fälschungen und Seuferts falsche Angaben gegenüber der Kriminalpolizei,  wie er versuchte, mich unbedingt zu belasten.  Solche falschen Aussagen führten u.a. dazu, dass ich über zwei Jahre in Untersuchungshaft blieb und dadurch nicht an meine Akten und eventuellen Beweisstücke herankam, die für meine Verteidigung wichtig gewesen wären.

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Interview: JMH-Reporter Schulz

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